»In der Ruhe liegt die Kraft«
Erhaben wie eine moosbewachsene Buddhastatue thront diese Sentenz im Garten der Sprichwörter. Sogar die Wissenschaft hat sie zum Verstummen gebracht: Zu ihrer Entstehungsgeschichte schweigt die Parömiologie, die Lehre von den Sprichwörtern, sich schlichtweg aus. Still lächelnd und ungestört von jeglicher Hektik, nimmt sich diese Weisheitsformel das Recht, das Geheimnis ihrer eigenen Herkunft für sich zu behalten. Sie kann es sich leisten.
In zeitloser Wahrheit begleitet das Lob der kraftspendenden Ruhe den Gang der Welt nämlich seit seit langer Zeit. Schon für den chinesischen Philosophen Laotse (ungefähr 3. bis 4. Jahrhundert vor Christus) war die Stille »die größte Offenbarung«, der Quell aller Energien. Seither hat keine Epoche die so simple wie bestechende Losung aussortiert. Während die Zeitalter durch die technische Entwicklung immer schneller, nervöser, diffuser und lauter wurden, blieb das Sprichwort stoisch ruhig. Heute, viele Jahrhunderte später, ist seine Sinnhaftigkeit unübertroffen.
»Meine Ruh’ ist hin / Mein Herz ist schwer / Ich finde sie nimmer / Und nimmermehr«, klagt nicht nur Goethes Gretchen am Spinnrad in Faust I, sondern, nicht minder verzweifelt, auch der moderne Mensch vor seinem ununterbrochen piependen Smartphone und seinen sich ständig verlängernden To-do-Listen.
In der rasenden Beschleunigungsgesellschaft sind Zeit, Raum und Muße für regenerierende Ruhe knapper denn je. Dauernde Erschöpfung vieler Menschen ist die Folge. Dabei steht doch, unerschütterlich, im Garten unserer Sprichwörter dieses eine uralte Mantra. Wir müssten uns nur ein bisschen öfter daran erinnern. Nina Pauer (http://www.zeit.de/2011/47/Sprichwoerter/seite-9)


